Figuren-Theater begeisterte auch die erwachsenen Zuschauer

Nonsens und gekonnte Gesellschaftparodie

Puppenspieler Thomas Glasmeyer setzte mit seinem »Piccolo teatro espresso« Alltagsthemen um

Wertheim. […] Es gastierte Thomas Glasmeyer (Würzburg) mit seinem Figurentheater »Piccolo teatro espresso« und den Nonsensprogrammen »Blähungen" und »Carmen-Fantasie« in der Main-Tauber-Stadt. Die erwachsenen Premierengäste zeigten sich von der Vorstellung begeistert und spendeten dem Künstler und seinen kunstvoll gestalteten Figuren viel Beifall.

Der 1956 in Bochum geborenen Puppenbauer und -spieler überzeichnet mit seinen Figuren sicher etwas, doch bei genauerem Hinsehen kann man vielleicht doch das eine oder andere erkennen, was einen schon immer am Nachbarn gestört hat oder vielleicht auch zum Lachen gebracht hat. Unterstrichen wird alles durch die Art der Präsentation der Puppen, die Aufgeblähtes, Zwischenmenschliches und Überbewertetes präsentieren, wie es im Programm heißt. […]

Da sind die beiden Schauspieler des Hamburger Schauspielhauses, die dem Zuschauer Einblick in die Probenarbeit zu Shakespeares »Sommernachtstraum« geben. »Paulchen Duhn« und »Friedrich Marschewski« nennt Glasmeyer die beiden Puppen, die den »Wahnsinn auf der Bühne« greifbar machen.

Oder der tröge Briefträge »Alwin« aus der Würzburger Vorort Versbach, der in einer Talkshow auftritt. Glasmeyer versteht es, die »allnachmittägliche Flut«, die über jeden Fernsehzuschauer hereinbricht, mit spitzer Zunge aufs Korn zu nehmen. Der Moderator »Tommy«, immer auf der Fährte von Problemen, kann sich nie sicher sein, ob er von dem Postboten nicht »veräppelt« wird. Da ist dann noch Alwins Frau »Elfriede«, die ihren neu erstandenen Body vorführt, mit dem sie ihren Alwin verführen möchte.

Oder in der Nummer »Negerlyrik«, in der die Puppe eines Farbigen des Deutschen Englischkenntnisse auf die Schippe nimmt. »I am not longer a sozial soupkasper« oder »I let me no longer on the nose rumführ'n« sind nur einige wenige der Stilblüten, die der erboste Akteur von sich gibt, um sich dann mit einem deftigen »they can me crosswise« zu verabschieden. Durch das Programm führt der oberlehrerhafte »Roland Gotthilf Schillerhahn«, der schwäbelnd auch einige seiner literarischen Ergüsse unter den Überschriften »Der Reh«, »Ein Kuh« oder »Das Elch« zum besten gibt.

Waren diese Figuren schon äußerst kunstvoll gestaltet, so verschlug es den Zuschauern beim Auftritt der »großen, alten Disseuse und Sängerin Lila Santiago« förmlich die Sprache. Mondän kam sie, die von allen Männern enttäuschte, etwas heruntergekommene auf den bürgerlichen Namen »Liliane Lindelbacher« getaufte alte Dame des deutschen Sprechgesangs daher und präsentierte amüsant den großen Hit »Johnny, wenn Du Geburtstag hast« von Marlene Dietrich.

Im zweiten Teil des Programms präsentierte Thomas Glasmeyer […] in Kurzfassung die beiden Versionen, die es angeblich von Georges Bizets »Carmen« gibt. Während in der einen, die später als Urfassung galt, alles seinen gewohnten Gang nahm, zeigte die Alternativversion überraschende Handlungssprünge.

So hat in der neuen Version der Stier einen wesentlich größeren Stellenwert und singt sogar zwei Solos. Außerdem entscheidet sich Carmen in dieser nicht für den Torrero, sondern letztlich für einen Typ, der verblüffende Ähnlichkeit mit »Freddy Mercury« hatte und »We are the Champions« anstimmte. Außerdem finden die beiden männlichen Hauptcharaktere zunächst zueinander und später den gemeinsamen Tod in der Arena, während der Stier den Kampfplatz als Sieger mit dem Lied »New York, New York« auf den Lippen verlässt.

Mit ihrem begeisterten Beifall zeigten die Zuschauer, dass sie viel Spaß hatten bei den Szenen, die sich immer am Rand des Nonsens bewegten, »ohne diesen doch in Richtung ›ratio‹ zu verlassen«, wie Glasmeyer in seiner Ankündigung des Programms angedeutet hatte. (Riffenbach)