Ein-Mann- und Zig-Puppen-Show

Thomas Glasmeyer erzählte Liebes- und Schelmengeschichten aus 1001 Nacht

GEROLZHOFEN - von Matthias Endriss

Egal ob Handpuppe, Stabpuppe oder Marionette - im klassischen Puppentheater gehört ihnen die Aufmerksamkeit des Publikums in der Regel ganz alleine und der Mensch, der sie zum Leben erweckt, hält sich dezent im Hintergrund verborgen. Bei Thomas Glasmeyer ist das anders. Der Würzburger teilt die Bühne mit seinen Figuren, ist Puppenspieler, Erzähler, chauspieler, Arrangeur und Geräuschemacher in Personalunion. Er nennt sein „Piccolo Teatro Espresso“ folgerichtig auch nicht Puppentheater, sondern treffender: Theater mit Puppen.

Glasmeyer ist in Gerolzhofen kein Unbekannter. Schon bei der 1225-Jahr-Feier der Stadt im Jahr 2004 begeisterte er mit seinem Ritter Valentin Gundelfinger junge wie auch alte Zuschauer. Denn Puppentheater à la Glasmeyer ist nicht nur etwas für Kinder. Und so spielt er an diesem Tag im Rahmen der Kulturtage nicht nur am Nachmittag für die Kleinen, sondem am Abend auch für die Großen.

Auf dem Spielplan stehen Liebes- und Schelmengeschichten aus 1001 Nacht. „Diese Geschichtensammlung begleitet mich schon seit meiner Kindheit“, sagt Glasmeyer und schmunzelt: „Oder sie verfolgt mich - wie auch immer.“

Auf der Bühne in der Stadtbibliothek stehen zwei Koffer. Rechts ein größerer, links ein kleinerer, dahinter eine spanische Wand, in die oben eine Mattscheibe eingearbeitet ist. Mehr braucht es nicht. Denn die Koffer sind wahre Zauberkästen. Sie sind nicht nur Aufbewahrungsort für Glasmeyers Bühnenpartner, sondern gleichsam Kulisse für deren Auftritte. Immer wieder tut sich eine Nische auf und bietet einen neuen, nicht selten überraschenden Blickwinkel. Gleiches gilt für den Geschichtenzyklus 1001 Nacht. Auch dieser ist verschachtelt wie Glasmeyers Koffer.

In jeder Geschichte steckt eine weitere. Und noch eine. Und noch eine. In erster Linie geht es dabei um Schahrasad, mitunter auch in der Schreibweise Scheherazade bekannt, der Tochter des Wesirs am Hofe des Königs Shehrijar.

Wie auch sein Bruder Shazaman muss dieser feststellen, dass ihre Frauen sie betrügen. Beide entsagen zunächst der Macht, bis sie jemanden finden, der noch unglücklicher ist als sie. Lange brauchen sie nicht zu suchen, da finden sie einen solchen in Gestalt eines finsteren Wassergeistes. Der hat ein reizvolles Menschenkind am Tag ihrer Hochzeit entführt und hält sie seitdem in einem gläsernen Käfig gefangen. Trotzdem gelingt es der Hübschen immer wieder, ihm Hörner aufzusetzen. Die beiden königlichen Brüder reiht sie als Nummern 99 und 100 in die Liste ihrer Liebhaber ein und eröffnet ihnen selbstbewusst: „Wenn eine Frau einmal einen Vorsatz gefasst hat, vermag es weder ein Ehemann noch ein Liebhaber, sie an der Ausführung zu hindern.“

Shehrijar und Shazaman müssen sich daraufhin eingestehen, „dass der Weiberlist nichts gleichkommt“. Doch Shehrijar will das nicht auf sich sitzen lassen. Er beschließt, jede Nacht sein Bett mit einer neuen Frau zu teilen, der sein getreuer Wesir, Schahrasads Vater, am Morgen danach den Garaus machen muss, bevor sie ihm auch nur annähernd untreu werden kann. Das geht nun einige Zeit so und bringt viel Leid über das Land, erzählt Glasmeyer, „und so langsam werden auch die Ressourcen knapp“.

An dieser Stelle tritt Schahrasad auf den Plan. Gegen den Willen ihres Vaters beschließt sie, selbst das Bett mit dem König zu teilen. Doch die junge Frau ist beileibe keine Selbstmörderin, denn sie hat neben unübersehbaren körperlichen Reizen auch jede Menge Grips in ihrem hübschen Köpfchen.

Ihr Plan ist der: Sie erzählt ihrem königlichen Gatten des Nachts fesselnde Geschichten von Kaufleuten, Bauern, Königen, Liebenden, Dämonen - und schafft es immer dann, wenn der Morgen graut, an einer Stelle abzubrechen, die nach einer Fortsetzung geradezu schreit. So gelingt es Schahrasad, ihr Leben Nacht für Nacht für Nacht zu retten. Und somit auch das der jungen Frauen, die ihr im Falle des Misserfolgs als königliche Kurzzeit-Gespielinnen nachfolgen müssten.

Glasmeyer zieht alle Register des Figurentheaters. „Man sollte die verschiedenen Effekte, die das Materialtheater bietet, auch nutzen“, ist sein Credo. Das tut er, und bedient sich dabei etwa des Schattenspiels. Auch seine Puppen sind nicht uniform. Glasmeyer baut sie selbst.

Rund 700 Figuren hat er in fast einem Vierteljahrhundert gestaltet, viele davon hat er verkauft oder verschenkt. Seinem „Ensemble“ gehören etwa 250 an. „Die stehen bei uns zuhause und nehmen uns den Platz weg“, witzelt er. Nach Gerolzhofen hat er rund zwei Dutzend Kollegen aus Holz und Pappmaché mitgebracht.

Es ist faszinierend, wie Glasmeyer seinen Charakteren Leben einhaucht, sie zum Sprechen bringt. Ein greiser Bauer etwa hat hörbar mit Polypen zu kämpfen und nuschelt unentwegt vor sich hin. Der Wesir am Hof des Königs von Harran, den keine Puppe, sondern Glasmeyer selbst verkörpert, spricht dagegen mit markanter Stimme, die klingt wie ein Mix aus Marcel Reich-Ranicki und Willy Brandt. Kläffen wie ein Hund, Wiehern wie ein Pferd, Muhen wie ein Ochse - der Herr der Puppen bleibt nichts schuldig.

Nach der Pause gibt es noch die Geschichte von Chodadad und seinen Brüdern. Und wieder beweist sich da der Einfallsreichtum des Puppenspielers. Der Körper des riesenhaften Mohrs ist gleichsam dessen Burg mitsaint Verlies, aus dem der Held seine Brüder, die 49 Prinzen von Harran, sowie die Prinzessin von Daryabar, die seine treusorgende Frau werden soll, befreit.

Es ist ein kurzweiliger Abend mit dieser Ein-Mann- und Zig-Puppen-Show, die das Publikum mehr als zwei Stunden lang in ihren Bann zieht: facettenreich, witzig, detailverliebt.

Und was wird letztlich aus Schahrasad? Die kann König Shehrijar 1001 Nacht mit ihren Geschichten fesseln. So sehr, dass er nicht einmal mitbekommt, dass sie ihm in dieser Zeit drei Söhne schenkt. Er rückt ab von seinem mörderischen Tun, er begnadigt die schöne und kluge Schahrasad und diese bleibt Königin an seiner Seite. Der Weiberlist kommt eben doch nichts gleich.

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